
„Ich bin gerne in Wuppertal!“ lautete die Botschaft, die NRW-Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans mit Überzeugung an den Anfang seines Impulsvortrages im Wuppertaler TalTon-Theater stellte. Gastgeber Andreas Mucke, OB-Kandidat der Wuppertaler SPD, hieß ihn, den Wuppertaler Bundestagsabgeordneten Manfred Zöllmer und viele interessierte Bürgerinnen und Bürger willkommen, um trotz höchst sommerlichen Wetters intensiv unter dem Motto „Wer zahlt? Wer bekommt?“ über den Länderfinanzausgleich und seine Folgen zu diskutieren.
Der durch seine kompromisslose Politik gegen Steuerflucht und Steuerhinterziehung bundesweit bekannt gewordene Finanzminister formulierte zugleich einen heimlichen Untertitel des Abends: „Wollen wir einen handlungsunfähigen, billigen Staat? Oder wollen wir einen handlungsfähigen Staat, der auch etwas kostet?“
Andreas Mucke führte launig-souverän durch den Abend und entlockte in der Doppelrolle des Moderators und kommunalen Experten den Gästen Statements, die das sehr komplexe, wenig anschauliche Thema Bund-Länder-Finanzbeziehungen als überaus spannende Geschichte von Strategie, Taktiken und Interessen unterschiedlichster Akteure aller Ebenen offenbarten. Mucke betonte die Wichtigkeit einer reformierten Kommunalfinanzierung im Kontext einer neujustierten Länderfinanzausgleichs und erinnerte an die immensen finanziellen Belastungen Wuppertals durch Ausgaben in Bereichen wie Eingliederungshilfe, Kosten der Unterkunft und Hilfen zur Erziehung.
Der Stärkungspakt Stadtfinanzen des Landes habe erstmals nach gut zwei durch Haushaltssicherung und Nothaushalte beherrschten Jahrzehnten den Ausstieg aus der Vergeblichkeitsfalle eröffnet.
Manfred Zöllmer gewährte Einblicke in die schwierigen Verhandlungen in Berlin und die Konfrontation konkurrierender Interessenlagen der einzelnen Länder. Umso mehr verdienten die zusätzlichen Finanzhilfen von voraussichtlich rund 29 Mio. Euro für Wuppertal bis 2017 im Zuge des Entlastungspakets des Bundes Beachtung.
Eine Erkenntnis einte alle Anwesenden: Zukunftschancen von Städten im Wandel über die nächsten zwei bis drei Jahrzehnte hinweg werden maßgeblich durch die künftige Ausgestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Land und Kommune eröffnet oder eben nicht eröffnet werden.
Für die musikalische Unterhaltung zwischen den Gesprächsblöcken zeichnete Leon Mucke, Bundessieger von „Jugend musiziert“ 2014, verantwortlich, der in Begleitung von Stefan Mühlhaus am Keyboard buchstäblich die Trommeln für den Aufbruch ins Zeitalter eines überdachten, faireren Finanzausgleichssystems schlug.
Walter-Borjans, dem aufgrund langjähriger Tätigkeit als Sprecher der Landesregierung Johannes Raus und freundschaftlicher Bande in die Heimatstadt Friedrich Engels‘ das Tal wohl vertraut ist, verband seine grundsätzlichen Ausführungen mit einem nachdrücklichen Bekenntnis zu einem selbstbewussten Wuppertal in einem selbstbewussten Nordrhein-Westfalen. Wuppertal habe als Stadt mit großer industrieller Tradition einen Jahrzehnte währenden Strukturwandel zu schultern. Für verschämtes Blicken auf die Schuhspitzen oder ein beklommenes „Entschuldigung, ich bin aus Wuppertal“ gebe es beileibe keinen Grund. NRW hänge mitnichten am Tropf der anderen Bundesländer; als überaus solidarisches Geberland nehme es vielmehr sogar Schulden auf, um über den Finanzausgleich andere Bundesländer zu unterstützen. Ohne diese Beiträge könnte NRW bereits mit einem ausgeglichenen Haushalt Politik gestalten. Man habe ihn, so der Finanzminister, jedoch gewarnt: „Mache mit dem Länderfinanzausgleich bloß nicht die Büchse der Pandora auf.“ Walter-Borjans‘ Entgegnung: „Ich bin derjenige, der die Büchse aufmachen will. Dann kommt Schwung in die Bude.“
Seit Jahren hat der ehemalige Kölner Stadtkämmerer – letztlich erfolgreich – einen umfassenden Blick auf die Finanzströme zwischen den Ländern unter Einschluss des sogenannten Umsatzsteuervorwegausgleichs eingefordert. Wer nur die ca. 700 bis 800 Mio. Einnahmen Nordrhein-Westfalens durch den eigentlichen Länderfinanzausgleich sehe, übersehe ungefähr 2,5 Mrd. Euro umverteilter Umsatzsteuer zu Lasten des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. In toto sei NRW unter Berücksichtigung aller Transfers jedes Jahr mit 1,5 Mrd. Euro eindeutig Geberland. Aufforderungen wie „Spar doch mal“ wirkten sehr pauschal angesichts des Umstandes, dass NRW immerhin über die fünftgrößte Steuerkraft je Einwohner und die niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben aller Bundesländer verfüge.
Der Bundestagsabgeordnete Zöllmer skizzierte die Möglichkeiten, die ein Altschuldentilgungsfonds nach Ansicht der SPD-Bundestagsfraktion für die Gestaltungsspielräume der unter enormer Schuldenlast leidenden Städte und Gemeinde berge. Die Erträge des im Grunde gerechten Soli, eine Verteilung nach Bedürftigkeit anstelle von Himmelsrichtung vorausgesetzt, wären eine denkbare Option zum Aufbau eines entsprechenden Altschuldenfonds.
Zudem hätte die von der Kanzlerin zuletzt abgewiesene Bewahrung des Soli mittels Integration in die Einkommenssteuer eine ernsthafte Prüfung verdient.
Derartige Leitfragen würden hingegen immer wieder von der Popularität sachlich unbegründeter, doch eingängiger Steuersenkungsdebatten überschattet.
Oberbürgermeisterkandidat Andreas Mucke, Geschäftsführer des Büros für Quartierentwicklung, schlug die Brücke zur städtischen Wirklichkeit der abstrakten Zahlen. Die strukturell bedingte Finanznot äußere sich in einem Bestand von etwa 1,5 Mrd. Schulden allein durch Kassenkredite, die sich im Falle von Zinssteigerung als erhöhtes Risiko erweisen könnten. Mucke stellte klar: Solide städtische Finanzen sind nicht nur eine Voraussetzung der Erledigung zahlreicher Aufgaben, sondern notwendig für die Sanierung der nicht mehr zeitgemäßen Infrastruktur und einer sozial wie auch finanzpolitisch sinnvollen Präventionspolitik.
Abschließend griff er die Einleitung des Finanzministers wieder auf und rief allen die Symbolik des Versammlungsortes ins Gedächtnis: einer ehemaligen Textilfabrik, die im Zuge des Strukturwandels mittlerweile zum Standort von Kultur und Kreativwirtschaft geworden ist, unmittelbar neben dem bundesweit einmaligen Pfad der Nordbahntrasse.
Allen Unwägbarkeiten und offenen Fragen zum Trotz traf Norbert Walter-Borjans in diesem Sinne den Nerv der Zeit und Zuschauer:
„Wir benötigen einen Ausgleich, der Spielraum lässt, etwas zu investieren. Einen solchen, der den Staat verrotten lässt, will ich nicht. Nein, vielmehr einen Ausgleich, der Aufgabenerfüllung gewährt und zugleich nicht als Last kommenden Generationen auferlegt wird.“